IG Metall ehrt Brigitta Große aus Gera für 70-jährige Mitgliedschaft und herausragendes Engagement

16.09.2021 | „Einmal Gewerkschaft, immer Gewerkschaft!“ So lautet das Lebensmotto von Brigitta Große aus Gera.

Die Textilingenieurin steht bei der Mitgliederversammlung am heutigen Freitag, 17. September im Mittelpunkt: Die IG Metall ehrt sie für ihre 70-jährige Gewerkschaftszugehörigkeit. Seit ihrem Beitritt, im Jahr 1952 als 15-jährige Auszubildende in der Kammgarnspinnerei Gera, ist sie Gewerkschaftlerin mit ganzem Herzen: erst als junges Mitglied und Vertrauensfrau, später im Hauptamt und als Gewerkschaftssekretärin und heute im Ehrenamt. „Diese Arbeit gibt meinem Leben Inhalt und Sinn – und ich lerne wunderbare Menschen kennen“, erzählt Brigitta Große bei einem Gespräch wenige Tage vor der Ehrung.

Brigitta Große engagiert sich im Ortsfrauenausschuss, im AGA-Ausschuss und im Seniorenausschuss der IG Metall Gera; als Revisorin der Geschäftsstelle und als Beisitzerin des Ortsverbandes sowie im Vorstand des DGB Kreisverbandes Gera. Allein die Aufzählung der Funktionen und Ämter zeigt: Die Ruheständlerin führt ein überaus aktives Leben – „auch wenn leider nicht mehr alles wie früher geht“, wie die 85-Jährige sagt.

Zuhause in ihrer Wohnung bewahrt sie nur wenige Erinnerungen an ihr Gewerkschaftsleben auf. „Ich habe die Alben mit Fotos an unsere Geschäftsstelle übergeben, da sie dort in guten Händen sind.“ Wunderbare Zeitdokumente – darunter eine liebevoll gestaltete Collage aus dem Jahr 2016, die Urkunde zur 60-jährigen Gewerkschaftszugehörigkeit von und ein Zeitungsfoto aus dem Jahr 1952 – hat sie aber vorbereitet. Präzise und kurz, so wie Brigitta über ihre Arbeit spricht, hat sie den fast sieben Jahrzehnte alten Zeitungsausschnitt beschriftet. Damals fotografierte ein Lokalreporter der „Volkswacht“ die junge Vertrauensfrau der Kammgarnspinnerei Gera.

„Ich stamme aus einer Gewerkschaftler-Familie und meine Mutter ist schuld, dass ich eine ‚Rote Socke‘ bin. Sie hat mir auf den Weg gegeben: Du bist ein Arbeiterkind und musst wissen, wo Du herkommst", erinnert sich Brigitta Große ebenso stolz wie humorvoll. Ihr selbst war es wichtig, dies ihren beiden Kindern weiterzugeben. Ihr Mann Joachim, mit dem sie seit 1962 verheiratet ist, ist ebenfalls Gewerkschaftsmitglied – allerdings „erst“ seit 65 Jahren, wie er mit einem Schmunzeln ergänzt.

Gewerkschaftliche Vita

Brigitta Großes gewerkschaftliche Vita beginnt am 1. August 1951 mit dem Eintritt in die Gewerkschaft IG Textil-Bekleidung-Leder. Die Auszubildende der Kammgarnspinnerei Gera wurde schon bald Jugendvertrauensfrau und in die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) gewählt. Nach ihrer Ausbildung schloss sie ein Ingenieurstudium an und arbeitete in ihrem Beruf. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder kehrte Brigitta nicht an ihren vorigen Arbeitsplatz zurück, sondern fing als Stellvertretende Bezirksvorsitzende bei der IG Textil-Bekleidung-Leder an. „Die Anfrage von zwei Gewerkschaftskolleginnen kam damals wie aus heiterem Himmel. Obwohl ich zunächst etwas Bammel hatte, habe ich es mir aber zugetraut und nie bereut.“

Im Jahr 1983 wurde sie Vorsitzende der IG Textil-Bekleidung-Leder Gera. „In den 1980er Jahren spürte man wie die Wende ‚nahte‘. Wir spürten die Stimmung in den Betrieben, dass es so nicht weitergehen kann“, beschreibt sie die letzten Jahre der DDR. Mit der Wende folgten herausfordernde und schwere Zeiten: das Versagen der Treuhand, der Kampf gegen Betriebsschließungen und das Schrumpfen der Gewerkschaft. Als Gewerkschaftssekretärin baute sie zunächst die Geschäftsstelle der Gewerkschaft Textil Bekleidung in Gera auf. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen trat sie 1994 in die IG Metall ein. „Die wunderbare Art wie uns Wolfgang Lemb, damals Erster Bevollmächtigter in Gera, in die IG Metall aufgenommen hat, ist mir bis heute in starker Erinnerung: Wir gehören seit der ersten Minute dazu!“

Engagement im Ehrenamt

Als die Gewerkschaft - aufgrund der Mitgliederentwicklung infolge der Arbeitsplatzvernichtung in den 1990ern – das Personal in Gera reduzieren musste, ging Brigitta Große zugunsten der jüngeren Kolleg*innen in den sogenannten „Altersübergang“ für Menschen ab 55 Jahren. „Mutti, Du kannst nicht zuhause bleiben“, sagten damals ihre Kinder voller Sorge. Das hat sie auch nicht gemacht, sondern im Ehrenamt gearbeitet – und tut es bis heute. Neben den gewerkschaftlichen Funktonen engagierte sie sich bei der AOK Selbstverwaltung, arbeitet im Ferienlager für Kinder aus Tschernobyl, führt Zeitzeuginnengespräche zum Nationalsozialismus in Schulklassen und kämpft im Bündnis gegen Rechts.

„Ich bin eine Antifaschistin!“, sagt Brigitta Große. Als Zehnjährige hat sie im letzten Kriegsjahr erlebt, wie Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald durch Gera getrieben wurden: „Das Schleifen der Holzpantinen, die ausgemergelten Menschen, die bedrohlichen SS-Uniformen, das Schreien der Aufseher, das Bellen der Wachhunde und ein Schuss, als ein Häftling hingerichtet wurde – diese schrecklichen Erinnerungen begleiten mich immer noch.“

Interesse an Menschen

Durch ihr vielfältiges Engagement hat Brigitta Große interessante Menschen kennengelernt. Mit dem preisgekrönten Schauspieler Peter Sodann saß sie auf einem Podium. Den heutigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow kennt und schätzt sie aus dessen Gewerkschaftstagen. Und auf ihre Kolleginnen angesprochen, fallen ihr starke Frauen wie Gudrun Balzer ein, deren Geradlinigkeit sie bewundert. Ihre Neugier und das Interesse an Menschen strahlen bei jedem Thema des Gespräches auf. Manchmal ist sie erstaunt, wie viele Menschen sie von irgendwo kennen und ansprechen.

Dass es bei der IG Metall einen guten Austausch zwischen Senioren und Jugend gibt, freut sie besonders. Angesichts der heutigen und künftigen Transformation, da ist sie sich ganz sicher, gilt das gleiche wie für die Umbrüche, die sie selbst erlebt hat: „Geht in die Gewerkschaften und engagiert Euch!“

Autor: Horst Martin

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