Offener Brief: Deindustrialisierung in Thüringen verhindern!

26.06.2025 | Mit einer dringlichen Forderung wenden sich IG Metall und Betriebsräte an die Thüringer Landespolitik. "Mit dem Offenen Brief fordern wir - Gewerkschaft und Belegschaft gemeinsam - die Landespolitik zum Handeln auf. Unsere Initiative ist der Startschuss für weitere Aktionen in den kommenden Wochen und Monaten. Unsere Mitglieder in den Betrieben haben ein Recht, dass wir ihre Arbeit und damit den ebenso traditionsreichen wie leistungsstarken Industriestandort Thüringen mit allen Mitteln verteidigen“, so Christoph Ellinghaus, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Jena-Saalfeld und Gera. Unterzeichner sind Jörg Köhlinger (Bezirksleiter IG Metall Bezirk Mitte), alle sechs Bevollmächtigten der IG Metall in Thüringen und 30 Betriebsratsvorsitzende aus Betrieben.

Die nächste Deindustrialisierung in Thüringen verhindern – Mut zur Brücke!
Offener Brief von IG Metall und Belegschaften Thüringer Betriebe an die Landespolitik

26.06.2025

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Mitglieder von Landtag und Landesregierung,

wir wenden uns mit großer Sorge an Sie: Zahlreiche Betriebe in Thüringen befinden sich in einer äußerst angespannten Situation. In Ostthüringen sind es 15 unserer Betriebe mit mehr als 4.000 Beschäftigten, in Mittelthüringen sind es fünf Betriebe, mit mehr als 500 Beschäftigten, in Nordthüringen sind es sieben Betriebe mit rund 2.300 Beschäftigten, in Süd-Westthüringen sind es acht Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten, die sich aktuell in existenziellen Krisen oder ökonomischen Stresssituationen befinden. Was uns jetzt zum Handeln zwingt, gilt ebenso für viele andere Betriebe und Belegschaften in Thüringen.

Thüringen steht als ebenso traditionsreicher wie leistungsstarker Industriestandort angesichts zu hoher Energiepreise, des Fachkräftemangels und der Transformation hin zu klimaneutralen Produktionsweisen unter Handlungsdruck. Häufig verschärfen firmenspezifische Faktoren, wie zum Beispiel eine unzureichende Kapitalausstattung von KMU für Zukunftsinvestitionen bzw. Krisenbewältigung, strategische Managementfehler oder die mangelnde Beteiligung der Belegschaften, die Situation dramatisch. Ohne gezieltes, wirksames und schnelles Handeln drohen akut Werksschließungen, Produktionsverlagerungen sowie der Verlust tariflicher Industriearbeitsplätze und somit Wohlstandsverluste.

Wir befürchten eine zweite Welle der Deindustrialisierung Thüringens, wenn Versäumnisse und Fehler der 1990er Jahren wiederholt werden. Wir fordern daher die Landesregierung auf, umgehend entschlossen politische Maßnahmen zu ergreifen, um eine Brücke in die Zukunft zu bauen.

Dass Landespolitik gestalten kann, zeigen die Beispiele Bayern und Hessen. Dort gibt es jeweils einen milliardenschweren Fonds sowie vielfältige Programme und Instrumente für Unternehmen in Transformationsprozessen. Ziel ist es - wie beim klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie - eine klimaschonende, wettbewerbsfähige und innovationsgetriebene Industrietransformation zu schaffen. Was in Bayern und Hessen geht, muss auch bei uns in Thüringen möglich sein!

Wir fordern daher:

  1. Instrumente, die die Brückenfinanzierung von Krisenbetrieben mit Landesmitteln bis hin zu Landesbeteiligungen ermöglichen. Die Beispiele Commerzbank, Lufthansa, Siemens Energy oder Meyer Werft zeigen, dass eine temporäre Staatsbeteiligung eine Erfolgsgeschichte sein und Unternehmen durch schwierige Phasen bringen kann.
  2. Die Ausweitung des Thüringer Zukunftsfonds, der bislang nur Start-Ups finanziert, auf Betriebe in Transformationsprozessen der industriellen Kernwirtschaft.
  3. Ein klares industriepolitisches Leitbild für Thüringen, das gemeinsam mit Sozialpartnern, Unternehmen und Kommunen entwickelt wird und die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen flankiert. Um aus den Fehlern der 1990er zu lernen, muss in dieser Transformation die Mitbestimmung der Betriebsräte und der Beschäftigten nicht nur respektiert, sondern dauerhaft verankert werden. Das gilt insbesondere hinsichtlich wirtschaftlicher Angelegenheiten, und zwar nicht nur in der akuten Krisensituation, sondern auch darüber hinaus.

Diese Maßnahmen sind nicht nur wirtschafts- und industriepolitisch notwendig, sondern auch gesellschaftspolitisch dringend geboten. Die Industrie sichert in Thüringen überdurchschnittlich viele tarifgebundene, mitbestimmte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und den Wohlstand in vielen Regionen. Wenn diese wegbrechen, verlieren wir weit mehr als nur wirtschaftliche Stärke.

Es geht um soziale Stabilität und demokratische Substanz. Thüringen darf in der industriellen Transformation nicht abgehängt werden. Jetzt ist die Zeit zu handeln. Wir stehen bereit, diesen Weg gemeinsam mit Unternehmen und Politik zu gestalten – für einen starken, zukunftsfähigen Industriestandort Thüringen!

Mit Nachdruck und in Verantwortung für unser Mitglieder und alle Beschäftigten in den Betrieben!

  • Jörg Köhlinger, Bezirksleiter IG Metall Bezirk Mitte
  • Christoph Ellinghaus, 1. Bevollmächtigter und Franziska Wolf, 2. Bevollmächtigte
    IG Metall Gera und Jena-Saalfeld 
  • Ilko Vehlow, 1. Bevollmächtigter IG Metall Erfurt
  • Alexander Scharff, 1. Bevollmächtigter IG Metall Nordhausen
  • Toni Bernheiden, 1. Bevollmächtigter und André Sander, 2. Bevollmächtigter
    IG Metall Eisenach und Suhl-Sonneberg

Weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus Thüringer Betrieben an die Landespolitik:

  1. Heiko Peter, Betriebsratsvorsitzender, Silbitz Guss GmbH
  2. Hans-Christian Weyhe, Betriebsratsvorsitzender, SAMAG Machine Tools
  3. Uwe Gollminski, Betriebsratsvorsitzender, Eberspächer
  4. Monty Zschockelt, Betriebsratsvorsitzender, Louis Renner
  5. Axel Kranz, Betriebsratsvorsitzender, Neumayer Tekfor
  6. Thomas Jäschke, Betriebsratsvorsitzender, Meuselwitz Guss
  7. Jörg Thiele, Betriebsratsvorsitzender, Kelvion
  8. Peter Hartl, Betriebsratsvorsitzender, Accuride
  9. Mario Stemmler, Betriebsratsvorsitzender, Voestalpine
  10. Sabine Büchner, Betriebsratsvorsitzende, Doctor Optics SE
  11. Janine Gerlach, Betriebsratsvorsitzende, Abatec Mikrosysteme GmbH
  12. Lars Köllner, Betriebsratsvorsitzender, Bohai Trimet
  13. Ralf Knoblauch, Betriebsratsvorsitzender, Andritz Schuler Pressen
  14. André Piechatzek, Betriebsratsvorsitzender, KRS-Seigert GmbH
  15. Marco Cramer, Schaeffler Industrial Drives AG & Co. KG
  16. Alexandra Klinzing, Betriebsrat, PKC Segu Systemelektrik GmbH
  17. Thomas Ritz, Betriebsratsvorsitzender, Fahrzeugbau Geisa GmbH
  18. Mike Herm, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, HFP Bandstahl GmbH
  19. Bernd Lösche, Betriebsratsvorsitzender, Opel Eisenach GmbH
  20. Maik Freitag, Betriebsratsvorsitzender, Robert Bosch Fahrzeugelektrik Eisenach GmbH
  21. Dominik Schwabe, Betriebsratsvorsitzender, Hako GmbH
  22. Olaf Kämpfer, Betriebsratsvorsitzender, Schmitz Cargobull AG Gotha
  23. Stephan Hofmann, Betriebsratsvorsitzender, EJOT SE & Co. KG Werk Tambach
  24. Silvia Spangenberg, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, AAM Eisenach Driveline GmbH
  25. Timo Meifarth, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, BMW Eisenach GmbH
  26. Kerstin Fritsch, Betriebsratsvorsitzende, Voestalpine TTG GmbH Gotha
  27. Steffen Semmler, Betriebsratsvorsitzender, Sumitomo (SHI) Plastics Machinery GmbH
  28. Karsten Raber, Betriebsratsvorsitzender, Maximator GmbH
  29. Andreas Zappe, Betriebsratsvorsitzender, Gestamp Griwe Hot Stamping GmbH
  30. Christoph Wiederhold, Betriebsratsvorsitzender, Musashi Leinefelde Forging GmbH & Co. KG

Zur Kenntnis: der offene Brief wurde an nachfolgende Adressaten gesendet:

  • An den Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, Herr Prof. Dr. Mario Voigt
  • An den Präsidenten des Thüringer Landtags, Herr Dr. Thadäus König
  • An den Fraktionsvorsitzenden der SPD Thüringen, Herr Lutz Liebscher
  • An den Fraktionsvorsitzenden der CDU Thüringen, Herr Andreas Bühl
  • An den Fraktionsvorsitzenden DIE LINKE Thüringen, Herr Christian Schaft
  • An die Fraktionsvorsitzende des BSW Thüringen, Frau Katja Wolf

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