Corona

Netzwerk sozialpolitischer Akteure in Jena kritisiert Krisenstab

07.04.2020 | Die Entscheidungen des Krisenstabes der Stadt Jena sorgen neben Anerkennung inzwischen auch für Kritik. So bemängelten am Freitag verschiedene sozialpolitische Akteure in der Stadt Jena das Vorgehen als einen Verlust an demokratischer Kultur und sozialer Partizipation.

„Jena hat sich in den letzten Jahren zu einer lebendigen Stadt entwickelt in der Bürgerbeteiligung großgeschrieben wurde.“ sagt Christoph Ellinghaus, 2. Bevollmächtigter der IG Metall. „In der Corona-Krise erleben wir eine Verkürzung von Entscheidungswegen die dazu führt das Aushandlung unterschiedlicher Interessen nicht mehr stattfindet.“ Die Verengung auf eine kleine Gruppe von Entscheidungsträgern öffne die Tür für die Dominanz derer sozialer und kultureller Prägung. „Offensichtlich ist dies beim praktizierten und erst später zurückgenommenen individuellen Verweilverbot geworden“ sagte Ellinghaus. „Auch die voreilige Zulassung von Sonntagsarbeit in Verkaufsstellen von Lebensmitteln, mit der Allgemeinverfügung vom 20.3., die dann wieder zurückgenommen wurde, macht offensichtlich, dass Regelungen auf Thüringer Ebene und Folgen für die Beschäftigten bei Entscheidungen des Krisenstabs keine Rolle spielen.“, so Ulrike Hoffmann, amt. Vorsitzende des DGB Kreisverbandes Jena/SHK.
Jede Organisation und Initiative arbeite daran, in Zeiten der Kontakteinschränkung demokratische Prozesse aufrechtzuerhalten oder neu zu erfinden. Dieses Bemühen sei beim Krisenstab nicht zu erkennen, kritisiert das Netzwerk übereinstimmend. Im Gegenteil bestehe die Gefahr, dass diese unreflektierte Machtkonzentration, auch über die Corona-Krise hinaus Wirkung entfalte.
Ein weiterer blinder Fleck des Krisenstabs ist die soziale Sicherheit der Menschen in Jena.  Beispielsweise riskiert die Stadt durch den Mietaufschub bei jenawohnen, dass Menschen nach der Krise einen Mietschuldenberg abzahlen müssen, wenn sie ihre Miete jetzt nicht zahlen können. Diese Situation macht bereits jetzt Angst und führt zu Verunsicherung. „Die Stadt Jena sollte mit gutem Beispiel für die Wohnungswirtschaft vorangehen und die Miete bei jenawohnen befristet auf die Kostenmiete absenken. Außerdem darf sie Mietschulden, die während der Krise entstanden sind, nicht nachfordern.“ fordert Georg Enzmann von der Bürgerinitiative für soziales Wohnen in Jena.
Jena ist Initiator und Vorreiter mit der Verordnung zur Maskenpflicht. „Das Tragen von einfachen Mund und Nasenschutzmasken darf nicht zu einer falschen Sicherheit führen. Gerade die Beschäftigten in den Gesundheits- und Erziehungsberufen sind weiterhin auf eine größtmögliche Distanz und Hygiene angewiesen, so dass sie nicht infiziert werden. Alleinerziehende in den plötzlich Systemrelevanten Berufen sind dann zum Beispiel beim Einkaufen oder im ÖPNV vermehrt Gefahren ausgesetzt.  Dass endlich die Taktung für den ÖPNV zum Klinikum erhöht wurde, ist nur durch den Druck der Beschäftigten möglich gewesen.“ erklärt Philipp Motzke, Gewerkschaftssekretär für den Bereich Gesundheit und Soziales bei ver.di.
Bereits jetzt sind in den Straßen und den Lebensmittelmärten Jenas Menschen anzutreffen, die professionell hergestellte Masken tragen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung in den Kliniken, in den Arztpraxen und in der Pflege jetzt gesichert ist. Bei Reinigungskräften – auch im Klinikum – sind diese bereits schon jetzt Mangelwaren. Bei allen möglichen Vorteilen einer derartigen Verordnung, die zum Tragen von Schutzmasken oder einfachen Masken zwingt. „Es gibt keine Schutzmasken zu kaufen. Einige Menschen nähen selbst Masken und laufen Gefahr abgemahnt zu werden, wenn sie ihre Produkte Schutzmasken nennen. Es ist ein Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz. Arbeitgeber haben die Pflicht Schutzausrüstung zu stellen und schicken die Beschäftigten deshalb nach Hause. Andere Menschen haben keine Möglichkeit, ihre Masken selbst zu basteln. Tücher und Schals werden zu idealen Nährböden für Bakterien und Viren. Das Einzige, was mit dieser Verordnung erreicht werden kann, ist es, die Menschen noch weiter zu verunsichern und unter Druck zu setzen, wenn sie z. B. Lebensmittel kaufen müssen und keine Maske haben.“ so Ulrike Hoffmann vom DGB Kreisverband.
In Nordrhein-Westfalen versucht der Landtag gerade mit großer Vehemenz das Grundgesetz auszuhebeln, um Menschen zur Arbeit in der Pflege zu verpflichten. Solche undemokratischen Praktiken lehnt das Netzwerk entschieden ab und fordert deutlich mehr demokratische Partizipation auch in der Krise.
„Das uneingeschränkte Verbot von Versammlungen und Demonstrationen des Oberbürgermeisters erschwert es gerade enorm, andere Perspektiven auf die derzeitige Situation sicht- und hörbar in die Öffentlichkeit zu bringen.“ sagt Teresa Gärtner, aktiv für das Frauen*streik-Bündnis Jena.
Dabei treffe diese Krise vor allem Menschen, die keine starke Lobby haben wie Geflüchtete und Wohnungslose – aber auch Frauen*. Viele arbeiten in derzeit besonders wichtigen – aber seit Jahren überbelasteten und unterbezahlten – Bereichen wie Einzelhandel mit Nahrungsmitteln, Krankenhäusern, Reinigung oder Kindergärten. Zudem steigt auch jetzt die Arbeitsbelastung in der unbezahlten Sorgearbeit, die oft von Frauen* übernommen wird: Kinder müssen Zuhause betreut werden, die Familie mit Essen versorgt werden, die Wohnung häufiger gereinigt und die Oma öfter angerufen werden.
Gerade in dieser Situation brauchen wir demokratische Prozesse, die verschiedene Lebensrealitäten und -bedingungen einbeziehen. So gäbe es durchaus Möglichkeiten, Versammlungen so sensibel für die derzeitige Lage zu organisieren, dass Menschen geschützt sind und Übertragungen verhindert werden, betont Teresa Gärtner.

Vielfach wird im Zusammenhang mit der Corona Pandemie zur Solidarität aufgerufen. „Solidarisches Empathisches Handeln sind jedoch nicht auf eine Thema zu begrenzen“ meint Eckart Hesse vom Aktionsnetzwerk. Er kritisiert in diesem Zusammenhang die Aussage von Sozialdezernent Eberhard Hertzsch, Jena „würde ohne die Corona-Krise auch Geflüchtete aufnehmen“. Richtig wäre die Corona-Krise als zusätzlichen Grund und nicht als unüberwindbares Hindernis für die Hilfe zu sehen. Die Vorstellung, Jenaer Verhältnisse seien für Geflüchtete unzumutbarer als die in Moria, findet Hesse zynisch. "Jena ist laut Stadtratsbeschluss sicherer Hafen - wir erwarten, dass der Krisenstab das akzeptiert und dem auch und gerade jetzt Taten folgen lässt."


Monika Sossna

DGB Thüringen
Gewerkschaftssekretärin

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Von: kb

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