Arbeitskampf geht auch mit Abstand

06.11.2020 | Jörg Köhlinger, Vorsitzender des IG-Metall-Bezirks Mitte, erklärt, was von den bevorstehenden Tarifgesprächen in Corona-Zeiten zu erwarten ist und welche Forderungen den Beschäftigten in der Corona Pandemie wichtig sind.

Das Interview ist am 06.11.2020 in der Rhein-Main Zeitung erschienen. Die Fragen stellte Falk Heunemann

Werden die anstehenden Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern angesichts der Wirtschaftskrise schwerer als sonst?

Als langjähriger IG-Metall-Verhandlungsführer im Bezirk Mitte kann ich mich in den vergangenen drei Jahrzehnten an keine einzige Tarifrunde erinnern, die leicht war. Die Gegenseite konstruiert immer irgendwelche Argumente, die gegen Lohnerhöhungen sprechen, unabhängig von der tatsächlichen Lage. Ich sehe kein Problem, Lohnerhöhungen zu rechtfertigen. Wir brauchen sie sogar.

 

 

 

Wie wirken sich denn die Corona- Regeln auf die Tarifverhandlungen aus?

Im Moment noch gar nicht. Auf die Willensbildung innerhalb der Gewerkschaft hat es keine Auswirkungen. Im ersten Schritt hatten wir Tarifkommissionssitzungen mit zum Teil über das Internet zugeschalteten Kollegen. Das war der Diskussionskultur keineswegs abträglich. Mitte November wollen wir die Tarifforderungen beschließen, das werden wir in hybrider Form machen. Das heißt, die örtlichen Tarifkommissionsmitglieder setzen sich regional in den Geschäftsstellen zusammen, ansonsten schaltet man sich mit den anderen zusammen. Zum ersten Verhandlungstermin mit den Arbeitgebern der Mittelgruppe am 17. Dezember hoffen wir, dass wir dann wieder in voller Stärke bei den Verhandlungen antreten können.

Wie stark belastet denn aus Ihrer Sicht die Krise die Unternehmen wirklich?

Der Produktionsbetrieb in den Betrieben funktioniert, und anders als im Frühjahr haben wir keinen flächendeckenden Einbruch der Produktion. Im Gegenteil, die Auslastung, die uns aus Betrieben berichtet wird, ist zum Teil sehr hoch, zum Teil werden Anträge auf Wochenendarbeit gestellt und wieder mehr Leiharbeiter eingestellt - auch bei Unternehmen, die zugleich Stellenabbau angekündigt haben.

Hessenmetall zeichnet derzeit ein anderes Bild: massive Umsatzeinbußen, fast ein Viertel der Belegschaft in Kurzarbeit und dann auch noch Belastung durch die Transformation der Autoindustrie. Was stimmt denn nun?

Da gibt es keinen Widerspruch. Auf das Kalenderjahr gesehen haben wir sicher Einbußen, das extrem schlechte zweite Quartal wird nicht wieder aufgeholt werden können. Aber im dritten Quartal gab es eine überraschend gute Entwicklung. Nicht in allen Betrieben, aber in vielen. Das Jahr 2020 wird weniger schlecht verlaufen als von Bundesregierung und Forschungsinstitutionen befürchtet worden war. Der Arbeitgeberverband Hessenmetall argumentiert, dass jetzt nicht die Zeit für Lohnsteigerungen sei. Die letzte prozentuale Erhöhung gab es 2018, sie liegt also lange zurück. Danach gab es nur noch Einmalzahlungen. Wir haben doch im Frühjahr gesehen, dass die Konjunktur auch wegen der geringeren Nachfrage eingebrochen ist. Die private Nachfrage ist für den von allen gewünschten Aufschwung extrem wichtig, das bestätigen auch Wirtschaftsinstitute. Auch darum bin ich fest davon überzeugt, dass wir höhere Löhne brauchen.

Die Unternehmer verweisen darauf, dass Produktivität und Inflation gesunken seien, das rechtfertige kein Gehaltsplus.

Mit solchen Äußerungen erzeugen die Unternehmerverbände nur eine Erwartungshaltung bei ihren eigenen Mitgliedern, die sie dann am Ende der Tarifrunde nicht einhalten können. Da empfehle ich ein realistisches Erwartungsmanagement.

Die IG Metall hat immer mit Trendproduktivität und Zielinflationsrate argumentiert. Die Zielrate der Europäischen Zentralbank liegt bei zwei Prozent, und die langfristige Produktivität seit den neunziger Jahren bis heute liegt bei im Schnitt 1,1 Prozent. Das ergibt grundsätzlich bereits einen verteilungsneutralen Spielraum von rund drei Prozent. Wir brauchen aber mehr Spielraum, um die anstehenden Herausforderungen bewältigen zu können. Zur Forderung werden wir uns in der nächsten Woche äußern.

Aber müssen Sie nicht gerade jetzt das Ziel der Jobsicherung verfolgen?

Wir reden über ein Volumen für Entgeltsteigerung und Beschäftigungssicherung. Das würde uns erlauben, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Dabei wollen wir die Möglichkeit schaffen, Teile des Entgeltplus in Zeit umzuwandeln, zum Beispiel für Qualifizierungen. Bei einer Viertagewoche wäre es dann denkbar, den fünften Tag anteilig für Fortbildungen dort zu nutzen, wo der Bedarf besteht. Außerdem wollen wir die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie erleichtern. Das wünschen sich Beschäftigte, aber auch Personalabteilungen, um Fachkräfte zu binden.

Bei den Arbeitgebervertretern stoßen Sie bislang auf erheblichen Widerstand, sobald es um die Viertagewoche geht.

Das ist für mich nicht nachvollziehbar und hat auch mit der Realität in den Unternehmen nichts zu tun. Ein Gehaltsplus in freie Tage umzuwandeln, was wir mit dem Tarifabschluss 2018 ermöglicht haben, hilft so manchem Unternehmen, Liquidität zu sichern, wie mir mancher hinter vorgehaltener Hand gesteht.

Kritisiert wird an der Viertagewoche der teilweise oder völlige Lohnausgleich, das steigere die Lohnkosten.

Es ist schon klar, dass wir in der jetzigen Situation nicht über einen vollen Lohnausgleich reden können …also, dass die Arbeitszeit verringert würde, das Gehalt aber gleich bleibt…wir sehen aber die Notwendigkeit, dass es einen Teillohnausgleich geben muss, als Beitrag der Arbeitgeber. Das ginge beispielsweise in Form von Zeit für Qualifizierung.

Sie wollten ja schon im Frühjahr die Tarifgespräche führen, haben das aber wegen Corona aufgeschoben. Wäre eine Verschiebung angesichts der anhaltenden Corona-Krise nicht vielleicht besser?

Die Transformation der gesamten Branche, weg von Verbrennern und hin zu Elektroantrieben, lässt sich auch in einer Pandemie nicht aussitzen. Der Klimawandel und die Debatten über verschärfte Kohlendioxid-Grenzwerte gehen ja weiter. Die IG Metall stellt sich dem, die Transformation darf aber nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen.

Das heißt, Sie hätten darum auch nichts gegen einen Tarifvertrag, der mehrere Jahre gilt, um für Berechenbarkeit zu sorgen?

Darauf kann man sich nicht im Voraus einigen, die Laufzeit ist eine der Stellschrauben, über die man sprechen wird. Wir haben ja gerade in diesem Jahr gesehen, dass es durchaus klug sein kann, kurze Verträge zu vereinbaren. Generell wollen wir Entgelttarifverträge für zwölf Monate, beim Thema Transformation kommt es darauf an.

Wie konfliktreich werden die Verhandlungen, was glauben Sie?

Beide Tarifvertragsparteien haben widerstreitende Interessen, gehen aber eine "antagonistische Kooperation" ein. Beide Seiten haben eine enorme Verantwortung, die Zukunft der Metall- und Elektroindustrie in Deutschland zu sichern. Tarifverträge können dabei eine große Bindungskraft und ein großes Gestaltungspotential entfalten. Das haben die Tarifvertragsparteien in den vergangenen 128 Jahren meistens ganz gut hinbekommen.

Werden Sie überhaupt ihre Beschäftigten in Pandemie-Zeiten für Arbeitskämpfe mobilisieren können?

Es wird anders, aber nicht schwerer. Wir haben ja gerade in den vergangenen Monaten schon einige Erfahrungen damit gemacht, als es um Standort- und Beschäftigungssicherung ging, da denke ich zum Beispiel an Continental oder Norma. Arbeitskampf geht auch mit Abstand.

 

Zum Arbeitskampf bei der Firma Norma, hier der Link:

www.igmetall.de/im-betrieb/norma-einigung-tarifvertrag-erhalt-der-arbeitsplaetze

 

Foto: Frank Rumpenhorst

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